Kleine Geschichte Taiwans

Dafür, dass es sich um eine „kleine“ Geschichte Taiwans handelt, erscheint die Zeit zwischen 1945 und heute auf den ersten Blick vergleichsweise ausführlich dargestellt. Doch in diesem Buch des Universitätsprofessors und Taiwan-Spezialisten Gunter Schubert geht es eben nicht um die Geschichte der rund 180 Kilometer südöstlich der Volksrepublik China gelegene Insel, sondern um das politische Gebilde Taiwan. Denn, so verrät der Klappentext, das Buch soll helfen, den aktuellen Konflikt zwischen Taiwan und der Volksrepublik, der droht, einen Krieg zwischen den beiden stärksten Militärmächten der Welt auszulösen, besser zu verstehen.

Mit den Europäern fing alles an

Vielen Lesern dürfte Taiwan auch unter der Bezeichnung Formosa bekannt sein, eine Bezeichnung, die die Portugiesen der Insel 1544 verleihen hatten. Ihren 1590 errichteten kleinen Handelsstützpunkt gaben sie bald auf und überließen das Eiland den Spaniern. Aber auch die zogen sich 1642 wieder zurück und damit wurde Formosa Stützpunkt der Niederländischen Ostindienkompagnie für den Chinahandel. Der von den Holländern 1624 nach dem Ureinwohnerstamm einer Halbnsel benannte Handelsstützpunkt Tayowan führte später zum Namen Taiwan für die ganze Inselgruppe. In den rund vierzig Jahren ihrer Präsenz prägten die Holländer über die Installierung einer kolonialen Infrastruktur, die Christianisierung der indigenen Bevölkerung und Anreize für chinesische Siedler die Zukunft der Inselgesellschaft bis ins 19. Jahrhundert grundlegend. 1662 allerdings wurden die Holländer von der Armee des Ming-Anhängers Cheng Chih-lung (Koxinga) von Taiwan vertrieben, die Ming -Herrschaft über die Insel begann. Hintergrund dieses Ereignisses: Die chinesische Ming-Dynastie musste der mandschurischen Quing-Dynastie weichen und Taiwan wurde zur letzten Zuflucht der Ming-Anhänger. Koxinga rief das Königreich von Tungning aus von dem er die Wiedereroberung des Festlandes organisieren wollte.

Imperiale Konflikte

Doch es kam anders: 1683 eroberten die Quing die Insel und verleibten sie als Provinz dem chinesischen Reich ein. Konfliktfrei war das Verhältnis zwischen den Taiwan-Chinesen, der indigenen Bevölkerung und der Quing-Verwaltung nie. Doch spätestens, als im Rahmen der Kapitulation Chinas im ersten chinesisch-japanischen Krieg Taiwan an die Japaner abgetreten wurde, entwickelte war der Souveränitätsanspruch Chinas über Taiwan diskreditiert. Die japanische Schreckensherrschaft endete mit der Kapitulation Japans im 2. Weltkrieg und Taiwan fiel auf der Grundlage der Potsdamer Erklärung am 25. Oktober 1945 an die Republik China. Taiwan geriet unter chinesische Militärverwaltung und die unter den Japanern entwickelte Wirtschaft und Infrastruktur brach aufgrund von Repression, Inkompetenz und Korruption zusammen. Als aufgrund des Sieges der Kommunisten über die nationalistische Zentralregierung unter Chiang Kai-shek sowohl die Regierung der Kuomintang-Partei als auch zahlreiche Festlandchinesen 1948 nach Taiwan flohen und die Verfassung der Republik China außer Kraft setzte, brachen für die Inselbevölkerung im Laufe der 1950er und 1960er Jahre die besonders repressiven Dekaden des sogenannten weißen Terrors der Kuomintang an.

Sensible Gleichgewichte

Die autoritäre Herrschaft der Kuomintang währte immerhin bis 1987, gefolgt von einer Phase der Demokratisierung. Längst hatte sich die Volksrepublik China auf dem Festland etabliert und an eine „Rückeroberung“ des Festlandes und dortige Etablierung der Republik China war nicht mehr zu denken. Obwohl dies noch immer auf dem Programm der Kuomintang stand. Doch Chinesen sind pragmatisch und realistisch und solange die Ansprüche nicht offen formuliert oder gar in die Praxis umgesetzt werden, kann sie jeder aufrecht erhalten, ohne sein Gesicht zu verlieren. Ohne das „Ein China Prinzip“ aufzugeben, entwickelten die beiden chinesischen Staaten im Laufe der Jahre diplomatische und verbale Konventionen, die eine halbwegs friedliche Koexistenz und Beziehungen ermöglichten. Aber bei allem diplomatischen Geschick, die Realitäten begannen sich zu verändern. Längst hatte sich eine starke Oppositionsbewegung in Taiwan entwickelt, die das „Ein China Prinzip“ grundlegend in Frage stellt und in der Bevölkerung einen großen Rückhalt verzeichnen kann. So groß, dass nicht nur die Kuomintang-Spitze unter Druck geriet, sondern auch die Demokratische Fortschrittspartei mit ihrem Postulat von Taiwan als souveränem Staat aus der Opposition an die Regierung gelangte. Unter anderem, diese Entwicklung wiederum führte zu einer Gefährdung des Status Quo, entsprechendem Säbelrasseln der Volksrepublik und nicht zuletzt dem diplomatischen Kurswechsel Amerikas und anderer Staaten.

Aus den Fugen geraten

Während Taiwan in der Vergangenheit diplomatisch (nicht wirtschaftlich) zugunsten der Volksrepublik Chinas weitestgehend isoliert war, „verärgern“ offizielle und halboffizielle gegenseitige Besuche hochrangiger Politiker von Taiwan, Amerika und anderer Staaten die Führung der Volksrepublik, dem von der Staatengemeinschaft bislang das Alleinvertretungsrecht Chinas zuerkannt wurde. Nicht zuletzt ist es der Taiwan Policy Act vom September 2022 in dem sich die USA zur Verhängung von Sanktionen gegen die VR China verpflichten, wenn dieses gewaltsam gegen Taiwan vorginge, der den bisherigen Status Quo in Frage stellt, zumal Taiwan darin als wichtiger Nicht-Nato-Verbündeter eingestuft und entsprechende finanzielle und politische Unterstützung erhalten sollte. Auch wenn das Gesetz letztendlich nicht das Repräsentantenhaus passiert hat, der aktuelle Zustand Taiwans „de facto souverän, wenn auch de jure kaum anerkannt“ droht angesichts der weltpolitischen Lage und dem Druck aus Peking aus den Fugen zu geraten.

Empfehlenswert, anregend

In seinem Buch präsentiert der Autor vor allem die politischen Entwicklungen Taiwans und ihre Hintergründe gut strukturiert und systematisiert, Für eine „kleine“ Geschichte erhält der/die LeserIn eine Fülle an Informationen zu für die Themenstellung relevanten Ereignissen und Persönlichkeiten. Nicht zuletzt erweist sich auch der Anhang mit den Anmerkungen als ergiebige Informationsquelle.

Gunter Schubert: Kleine Geschichte Taiwans. C.H.Beck 2024. Paperback 181 Seiten.

2 Kommentare

Eingeordnet unter 19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert, 21. Jahrhundert, Rezension

2 Antworten zu “Kleine Geschichte Taiwans

  1. adamrhau

    Ja, das fiel mir auch auf, daß die Zeitgeschichte völlig überproportional dargestellt wird. Um Mißverständnisse zu vermeiden, wäre ein anderer Titel sinnvoll gewesen.

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