Deutsche Geschichte in 100 Zitaten

Von Tacitus bis Merkel

Dafür, dass der „Klappentext“ nicht wirklich als gelungen gelten kann, ist der Inhalt tatsächlich sehr zu empfehlen. „Jede und jeder kennt sie“: Gemeint sind damit die Zitate, anhand derer der Autor Christoph Marx die deutsche Geschichte anschaulich und kurzweilig vermittelt. Aber einige der Zitate kennt eben nicht „jede und jeder“ und auch wird die Geschichte nicht „ausschließlich erzählt durch berühmte Zitate“, wie der Text auf der Buchrückseite suggeriert. Kurz und gut: Dieser Text wird dem Inhalt nicht gerecht.

Kein Sprüchebuch

Die oben kritisierten Aussagen finden sich im kaum eine Seite füllenden Vorwort des Autors wieder, stehen hier im richtigen Zusammenhang und geben daher anschaulich sowohl die Intention des Verfassers als auch das Konzept des Buches preis, das Christoph Marx am Ende prägnant folgendermaßen formuliert: „… Anhand dieser bunten Perlenkette aus kraftvollen, poetischen, verunglückten oder flapsigen Zitaten wird deutsche Geschichte sichtbar und sogar >> hörbar <<.“ Und bereits im ersten Kapitel über die deutschen Ursprünge in Antike und Frühmittelalter wird deutlich, dass sich der Autor und Journalist entgegen der ursprünglichen Befürchtung eben nicht einfach an einschlägigen Zitaten entlanghangelt, sondern die Ursprünge seiner sorgfältig ausgewählten historischen „Sprüche“ sowohl geschickt in die historischen Entwicklungen einbettet als auch gleichzeitig zur genaueren Betrachtung der sozialen und politischen Hintergründe nutzt. Und so beginnt das Kapitel eben nicht mit einem Zitat sondern mit einem Überblick über den Betrachtungszeitraum und der berechtigten Frage, ab wann man überhaupt „von Deutschland sprechen“ kann.

Eine Frage des Blickwinkels

Da der Ursprung dessen, was heute als deutsch gilt, in der Geschichtsschreibung des Römischen Imperiums begründet ist, beginnt Christoph Marx seine „bunte Perlenkette“ mit dem römischen Historiker Tacitus der im Jahre 98 n. Chr. in seiner Abhandlung über die Germanen feststellte, sie hätten „wild blickende blaue Augen, rötliches Haar und große Gestalten“. Dieses im 19. Jahrhundert dem deutschtümelnden Germanenbild zugrunde liegende Zitat hat allerdings, wie der Autor darstellt, kaum Realitätsbezug. Denn das 1450 zufällig gefundene Manuskript des römischen Historikers hat eine Entstehungsgeschichte und Intention, die auf der Basis zusammengewürfelter Informationsquellen über die „einfach gestrickte Stammesvölkerschaft rechtsseitig des Rheins“ vor allem nach innen, auf die „dekadente“ römische Gesellschaft gerichtet war. Tacitus selbst, so der Autor, war wohl niemals in Germanien gewesen.

Die Hunnen und die Deutschen

Es ist nicht überraschend, dass die Zitate „Varus gib mir meine Legionen zurück“, oder „in diesem Zeichen wirst du siegen“ folgen, denn bis zu seinem Untergang ist die „Deutsche Geschichte“ eng mit dem Römischen Reich verknüpft. Das wiederum zerbrach letztendlich an den Umwälzungen, die der Einfall der zentralasiatischen Reitervölker in Osteuropa nach sich zog. Diese Umwälzungen machen den wahren Kern der fantasievollen Geschichte des Nibelungenliedes aus, das mit den bekannten Worten „Uns ist in alten maeren, wunders vil geseit“ beginnt. Kaum anderthalb Seiten widmet Christoph Marx den historischen Hintergründen des Nibelungenliedes und doch hat der/die LeserIn das Gefühl, die rund zweihundertjährige Epoche der sogenannten Völkerwanderung erfasst zu haben. Und genau das ist das Geheimnis dieses Buches. Denn so kurz die einzelnen Beiträge zu den ausgewählten Zitaten auch sind, sie vermitteln ein Gefühl für die zugrunde liegenden historische und gesellschaftlichen Prozesse, klären über die Authentizität des Zitates auf und liefern nicht zuletzt die wesentlichen Informationen über ihre Wirkgeschichte und die realen oder vermeintlichen Urheber.

Empfehlenswert

Christoph Marx liefert anhand seiner ausgewählten Zitate tatsächlich eine faszinierende deutsche Geschichte. Das liegt vor allem daran, dass die knackigen journalistischen Einzelaufsätze eben nicht für sich stehen, sondern aufeinander Bezug nehmen, gewissermaßen ineinander verwoben sind. Am Ende der Lektüre gewinnt der/die LeserIn den Eindruck, der Autor habe kaum ein wesentliches Detail der deutschen Geschichte ausgelassen und je mehr man sich der Gegenwart nähert, desto dichter wird das Geschehen, bis der/die LeserIn je nach Alter selbst Teil des Geschriebenen wird. Deutsche Geschichte in 100 Zitaten ist ein Buch, dessen Qualität man bei der Lektüre des Klappentextes nicht einmal ansatzweise erwartet.

Christoph Marx: Deutsche Geschichte in 100 Zitaten. Von Tacitus bis Merkel. Duden 2022. Gebunden, 247 Seiten.

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