Die Entdeckung der Nilquellen

Reisebericht von John Hanning Speke

Die Suche nach den Quellen des Nils hat eine unglaublich lange Geschichte. Alexander der Große beschäftigte sich bereits mit dem Thema, Ptolemäus II. schickte eine Expedition den Blauen Nil hinauf, der Römische Kaiser Nero ließ zwei Zenturionen mit ihren Hundertschaften den Weißen Nil Flussaufwärts folgen und im 19. Jahrhundert entbrannte zwischen den europäischen Reisenden und Entdeckern ein wahrer Wettlauf ins Innere Afrikas, um dem Ursprung des „wohl berühmtesten Flusses der Menschheit“ auf die Spur zu kommen. Einer der Reisenden war der Brite John Hanning Speke, der für sich in Anspruch nehmen kann, eine Nilquelle in Form des Abflusses aus dem Victoria-See als erster Europäer gesichtet zu haben.

Im Dienste der Royal Geographic Society

Speke war, wie viele Entdeckungsreisende, ein Offizier der britischen Armee, der bereits während seiner Dienstzeit in Indien Erkundungsausflüge in den Himalaya, zum Mount Everest und nach Tibet unternahm. Nachdem Speke auf seiner zweiten Afrikareise als erster Europäer den See erreichte, den er zu Ehren der damaligen Britischen Königin Victoriasee nannte, bestätigte er im Rahmen seiner dritten und letzten Afrikaexpedition die Existenz des Nilausflusses aus dem größten See Afrikas. Hintergrund dieser Reise war der Streit um die genaue Verortung der Nilquellen zwischen Speke und Richard Burton, seinem Kollegen auf den ersten beiden Afrikareisen. Während nämlich Burton seine Entdeckung, den Tanganjikasee, für die Quelle des legendären Flusses hielt, bestand Speke auf dem von ihm entdeckten Gewässer als Nilquelle. 1859 entschied der Vorsitzende der Royal Geographic Society, Speke noch einmal nach Afrika zu schicken, um dessen Vermutung durch Augenschein zu bestätigen.

Entdeckungen im Spannungsfeld indigener Ränkespiele

Am 17. November 1661 erreichte Speke von Sansibar aus die Grenze des Reiches Karagwe, um schließlich acht Tage später, sicher geleitet von dessen Untertanen, den König Rumanika in seinem Palast persönlich zu treffen. Am 17. November 1661 beginnt auch der in der Edition Erdmann herausgegebene und mit einer Einleitung des Übersetzers, Niels-Arne Münch versehene Reisebericht Spekes. Ganz bewusst konzentriert sich die Erdmann-Ausgabe auf die Aufenthalte Spekes an den Regierungssitzen der innerafrikanischen Königreiche. Hier verbringt der Reisende tatsächlich einen großen Teil der Zeit seiner Expedition, wenn auch nicht ganz freiwillig. Denn auch, wenn Speke immer wieder seine moralische Überlegenheit und Autorität herausstellt, ohne die Zustimmung und Unterstützung der regionalen indigenen Machthaber geht zu dieser Zeit in der zentralafrikanischen Region auch für Europäer gar nichts. Und die verfolgen durchaus ihre eigenen machtpolitischen und gesellschaftlichen Interessen und Ziele.

Das europäische Bild des afrikanischen Despoten

Speke versucht, die afrikanischen Herrscher mit der Macht seiner Königin und der Größe des britischen Empire zu beeindrucken, deren Machtelite er vorgibt anzugehören. Und doch wird er von den afrikanischen Königen hinsichtlich der Unterstützung seiner Reise hingehalten, behindert, für deren politische Zwecke instrumentalisiert und gewissermaßen ausgenommen. Das interessante an Spekes Bericht ist letztendlich dessen Interpretation der Ereignisse, und die damit verbundene Bewertung der moralischen und intellektuellen Fähigkeiten seiner Gastgeber. Es sind nicht in erster Linie die natürlichen Gegebenheiten, die eine Expedition in den (Europäern) unbekannten Schwarzen Kontinent so mühsam machen, sondern die Abhängigkeit von weitgehend unverstandenen kulturellen und politischen Zusammenhängen und Prozessen im nie als solches begriffenen Gastland. Diese mentalen Grenzen europäischer Betrachtungsweisen scheinen Speke allerdings gelegentlich selbst aufzufallen, etwa wenn er zwischen den Zeilen das Gefühl äußert, dass ihm Informationen und Sachverhalte vorenthalten werden oder dass sich im Hintergrund unverstandene politische Prozesse innerhalb und außerhalb des Palastes abspielen. Selbstzweifel an der grundsätzlichen europäischen Überlegenheit kommen allerdings nicht auf.

Spannendes zwischen den Zeilen

Wie aus der Einleitung von Niels-Arne Münch hervorgeht, verbirgt sich zwischen den Zeilen oder besser im von Spekes Verleger bearbeiteten und gekürzten Originalmanuskript gewissermaßen eine zweite, persönlichere Ebene. Der Abenteurer war sich nämlich nicht zu schade, „sich mit den Einheimischen ernsthaft einzulassen und auch in ihrem Alltag teilzunehmen – etwa an Saufgelagen am Hofe der Königin“. Tatsächlich, so erfährt der Leser beispielsweise in einer Fußnote zum offiziellen, vom Verleger viktorianischen Moralvorstellungen angepassten Text, verbarg sich hinter der „väterlichen Beziehung“ zu einer vom König geschenkten Sklavin eine veritable erotische Liebesgeschichte. Die von Speke im Original offen dargestellten intimen Bedürfnisse von König und Königin fallen ebenfalls der viktorianischen Anpassung zum Opfer. Und so ist „Die Entdeckung der Nilquellen“ alles in allem mehr als einer der üblichen Reiseberichte, dessen Lektüre sich trotz einiger Längen (die der Dokumentation der permanenten königlichen Hinhaltetaktiken und Machtdemonstrationen geschuldet sind) durchaus lohnt. Die In den Umschlagseiten abgebildeten Karten der drei Afrikareisen Spekes sind hinsichtlich der Orientierung des Lesers nicht wirklich gelungen. Viele der im Bericht aufgeführten Ortsnamen, tauchen in den Karten nicht auf und eine zeitliche Zuordnung der einzelnen Stationen auf den Reiserouten gibt es leider ebenfalls nicht.

John Hanning Speke: Die Entdeckung der Nilquellen. Am Victoriasee. Edition Erdmann 2019, Gebunden mit Schutzumschlag, 365 Seiten

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